Durch das Beschneiden eines Fotos kann man seine Aussage in zwei Richtungen manipulieren: man kann sie verstärken oder verändern. Gerade in der journalistischen Fotografie ist ein Bild selten perfekt, denn Zeitmangel und suboptimale Lichtverhältnisse zwingen die Fotografin oft zum Kompromiss: sie schießt ein Foto, obwohl die Komposition nicht optimal ist. Etwaige Schwächen der Bildgestaltung lassen sich später in der Bildbearbeitung korrigieren. Wenn bei einem Foto beispielsweise störende helle Fenster ausgespart werden, weil sie die Bildaussage nicht unterstützen, dann kann das ein Bild verbessern und seine Aussage verstärken. Es liegt nämlich in der Natur unserer Sehgewohnheiten, dass unser Blick von hellen Bildstellen angezogen wird.
Auch das Verhältnis von Bildinhalt und Bildgröße ist wichtig. Je kleiner ein Foto, desto wichtiger ist es, dass der Bildinhalt nicht kleinteilig ist, denn er kann sonst schlecht erkannt werden. Wenn ein Foto in Briefmarkengröße abgebildet wird, wäre es also ungünstig, einen Fussballplatz in der Totalen darauf zu zeigen. Allerdings würde man eine einzelne Fussballerin ganz gut auf einem kleinen Foto erkennen. Rein optisch gesehen wäre dieser Bildschnitt also effektiv. Inhaltlich betrachtet käme ein ganz anderes Foto mit einer anderen Bildaussage dabei heraus: ein Fussballplatz ist eben nicht das Gleiche wie eine Fussballerin!
Die Blick- und Aktionsrichtung ist ein weiterer Aspekt beim Beschneiden von Fotos. Ein Gesichtsprofil, das nach rechts blickt, verlangt nach Raum auf der rechten Seite des Bildes. Würde das Foto direkt neben seiner Nase enden, würde das Foto unausgewogen wirken. Genauso würde man vor einem fahrenden Auto Platz lassen, um die Illusion der Bewegung in die Aktionsrichtung zu verstärken. Endete das Foto unmittelbar vor der Kühlerhaube, hätte es eine störende Wirkung. Die Betrachterin würde den Raum in Fahrtrichtung vermissen: wo soll das Auto denn hinfahren?
Mit dem Beschneiden eines Fotos kann man aber nicht nur seine formale Wirkung verändern, sondern auch seine Aussage. Schneiden Sie beispielsweise eine Person aus einer Zweier-Dialogsituation, haben Sie die Aussage des Fotos verändert. Sie drücken jetzt etwas anderes damit aus, als es der Fotograf getan hat. Das kann zweckmäßig sein, wenn das beschnittene Bild in seinem Kontext Sinn macht. Wenn es unsinnig wirkt oder nicht mehr verstanden wird, war der Schnitt falsch. Beschneiden Sie Fotos also immer auch nach inhaltlichen Gesichtspunkten und nicht einfach nur nach einer benötigten Größe.
Puristinnen lehnen Bildschnitte ab, die die Aussage eines Fotos verändern. Fotografenlegende Henry-Cartier Bresson beispielsweise war ein Verfechter des vollen Negativformates. Das heißt, dass er alle seine Bilder so vergrößern ließ, wie er sie im Sucher komponiert hatte. Der dünne schwarze Rand rings um seine Fotos war der Beweis dafür und ein Qualitätsmerkmal für das echte, unmanipulierte Bild: keine Ausschnittsvergrößerung, sondern die Fotografie in ihrem jungfräulichen, unveränderten Zustand.
„Fotografie ist Manipulation“ sagen die anderen und propagieren den Bildschnitt als legitime kreative Option. Sie sind der Meinung, dass das Medium ohnehin aus einer Reihe von Manipulationen besteht, von der Wahl des Sujets, des Standpunktes und der Perspektive, bis hin zum Bildschnitt. So gesehen ist auch ein extremer Bildschnitt gerechtfertigt, selbst wenn man damit die ursprüngliche Aussage verändert und eine neue schafft.
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